Zur Arbeitsweise von Susi Staub Ernst

Gesprächsprotokoll von Claudia Roth, im Mai 2005

«Oft habe ich das Gefühl, mir falle nichts ein, obwohl eigentlich alles da wäre und es allein darum ginge, daraus zu schöpfen. In einem solchen Moment ist das Vertrauen abhanden gekommen. Früher habe ich an diesem Zustand gelitten. Doch über die Jahre habe ich herausgefunden: Sich einfach hin setzen und nichts tun ist möglich! Dann kommen die Ideen. Früher kam es vor, dass ich mir ein Kostüm gekauft habe – einfach so. Und danach konnte ich mit der Arbeit beginnen. Als ich mir dieser Handlung bewusst wurde, kaufte ich mir bei einer drohenden Blockade gleich ein Kostüm und konnte dann sofort mit der Arbeit beginnen. Ich habe gemerkt: Wenn ich mir einen Luxus leiste, kann ich arbeiten. Auch nichts tun, die NZZ lesen, sich hin setzen und träumen ist Luxus. Nichts müssen dürfen! Nur daraus entsteht bei mir etwas – aus dieser Freiheit heraus. Auch wenn ich eine Idee habe, beginnt die eigentliche Arbeit erst beim Malen. Ich muss mir die Bilder abringen. Manchmal male ich schnell und beende ein Bild innert Kürze. Manchmal zermale ich ein Bild, weil ich nicht aufhören kann.

Wenn ich nicht mehr malen kann, schreibe ich. Das war schon immer so. Ich schreibe seit vielen Jahren, früher nahm ich mein Schreiben jedoch nicht ernst. Erst neulich ist mir bewusst geworden: Über das Schreiben finde ich zum Malen zurück. Ich habe einmal zwei Jahre nicht gemalt, weil ich kein Atelier hatte. Aber es passte in jenen Lebensabschnitt. Während dieser Zeit habe ich geschrieben, im Literaturforum mitgemacht, sogar einen vierten Preis beim Bolero-Wettbewerb gewonnen. Und einer meiner Texte wurde im Zürcher Literaturhaus zum Text des Monats August 2003 gewählt. All diese Aktivitäten passten in jene Zeit. Als ich dann wieder zu malen begann, kam ich mir vor wie eine Anfängerin: Ich wusste nicht mehr, wie ich zu Ideen komme und wie ich mit Unlustgefühlen umgehen soll, ich wusste nicht mehr, wie ich mich selbst locken und verführen kann, geneigt zu sein, einen Strich zu tun.

Vor vielen Jahren war ich in Ägypten und traf dort einen Archäologen, der in einer Privatgruft Hieroglyphen entzifferte. Ich war ergriffen. Für mich ist das Malen auch so: ein Entziffern von Zeichen in einer Höhle: Das narzisstische Ich gibt es nicht mehr, den Pinsel gibt es nicht mehr, ich male, und alles kommt von allein, die Zeichen lesen sich selber. Ich handle noch, aber ich denke nicht. Die grösste Befriedigung ist für mich, wenn ich beim Malen in dieses Gefühl komme. Nicht, dass in diesem Moment meine grössten Werke entstünden! Manchmal denke ich am nächsten Tag: Was?! War das alles? Aber das Gefühl während des Malens war wunderbar.»

Drei Schilder mit Krönchen. 1989.
Drahtgeflecht, Gaze, Wachs, Pelz, Federn, Flachs. Jedes Teil 60 x 135 cm.
Drei Schilder mit Krönchen. 1989.

«Das Objekt stellt für mich Kämpferinnen dar, die ihre Schilder abgelegt haben und weggelaufen sind. Damals war das mein Thema: die Darstellung der Erinnerung an Personen, die weggegangen sind.»


Cocktailkleid und Bustier. 1991.
Drahtgeflecht, Spitze, Samt, Seide, Holz. 70 x 30 x 165 cm.
Cocktailkleid und Bustier. 1991.

«Heute mache ich wieder etwas Verwandtes für die Zürcher Ausstellung Raum für Räume (2005). Das hintere Kleid ist ein Cocktailkleid meiner Mutter, das ich zusammen mit vier weiteren Cocktailkleidern und einem Nachmittagskleid von ihr wieder verwende für das Objekt Erinnern (Mutter). Damit greife ich mein altes Thema auf: die Darstellung der Erinnerung an Personen, die nicht da sind. Ein Bustier ist für mich ein Erinnerungsabdruck.»


Zwei Freundinnen. 1991.
Oel-Eitempera. ca. 100 x 145 cm.

Zwei Freundinnen. 1991.

«Das Bild existiert leider nicht mehr. Der rechten Figur habe ich das Gesicht weggeputzt. Das Bild war leicht – zu leicht, schien mir damals, daher verschmierte ich das eine Gesicht. Ich war entsetzt über die Zerstörung. Heute gefällt mir das Bild so, wie es ist. Leider kann ich es nicht mehr finden. Vor Jahren habe ich mal radikal meine Bilder verlesen und viele weggeschmissen. Danach fühlte ich mich frei.»


Die blaue Kommode. 1995.
Oel auf Baumwolle. 105 x 146 cm. (Privatbesitz)

Die blaue Kommode. 1995.

«In den Micky-Mouse-Heftli sieht man einfach gemalte Innenräume, das gefällt mir. Ich liebe Interieurs: Es sind geschlossene Systeme, keine Person ist drin. 1995 wollte ich Interieurs malen und blieb vorerst bei den Kommoden hängen. Die blaue Kommode ist unverkäuflich, sie ist für mich eine wichtige Erinnerung an diese Arbeitsphase.»


Häuser im Wasser. 2002.
Oel-Eitempera auf Baumwolle. 63 x 63 cm.

Häuser im Wasser. 2002.

«Das Bild gehört zur Serie der unbewohnbaren Häuser,
der unbewohnbaren Städte.»


Vermählung. 2005.
Oel-Acryl auf Baumwolle. 54 x 67 cm.

Vermählung. 2005.

«Zurzeit male ich Gorillas und Menschen. Gorillas faszinieren mich. Mein grosser Wunsch ist, Porträts zu malen. Mich lockt dabei, mit den Menschen zu kommunizieren. Darum bin ich auf die Menschen als Sujet zurückgekommen. Ein Gorilla und ein Mensch auf einem Bild – die Spannung liegt für mich in der Sprachlosigkeit, die sichtbar wird.»


© Claudia Roth 2005